Nachrichten aus dem Kreisverband

Vorfahrt für Solidarität

Margrit Paal, Kreisrätin
KV TübingenPosition

Nichts ist so, wie es mal war. Die Pandemie fegt wie ein Hurrikan durch die Gesellschaft und hinterlässt eine Schneise der Zerstörung, vor allem bei den Menschen, die auf Unterstützung dringend angewiesen sind. Die Empathie und Mitmenschlichkeit durch das Ehrenamt helfen zwar, die notwendigsten Hilfsangebote eingeschränkt aufrecht zu erhalten. Doch COVID-19 offenbart auch, dass der Staat sich die letzten zwei Jahrzehnte auf „Armutsverwaltung“ fokussiert hat, statt sie dauerhaft zu beseitigen.

Mickrige Regelsätze in Hartz-IV, niedrige Renten, Schliessung der Tafelläden und Sozialkaufhäuser, Wegfall sozialer Angebote wie kostenloses Mittagessen in der Schule: Das trifft diejenigen, die keine Aktienpakete, Erbschaften oder Eigentum als solide Finanzbasis ihr Eigen nennen. Schon die „Zwangsdigitalisierung“ durch Homeschooling zeigt auf, dass für ein Viertel der Familien der Anschluss an den Bildungsstandard mangels Technik nicht möglich ist. Es bleibt spannend, wie sich der Verlust von Arbeitsplätzen auf die Familien auswirkt, die momentan noch hohe Mieten zahlen oder sich vor Kurzem dank billiger Kredite ein Eigenheim aus Betongold geleistet haben. Nicht nur Hamsterkäufe, auch der drohende Anstieg von Lebensmittelpreisen wird die Deckung des Grundbedarfs zur täglichen Herausforderung des Überlebens werden lassen.

Die grenzenlose und wichtige Solidarität der letzten Wochen sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass der existenzielle Absturz ganzer Haushalte durch ehrenamtliche Unterstützung nicht aufgefangen oder gar vermieden werden kann. Gerade in schweren Zeiten ist der Staat nach dem Grundgesetz verpflichtet, die schwächsten Glieder der Kette zu stützen. Dazu gehören nicht nur finanzielle Hilfen, sondern auch der Erhalt der sozialen Angebote und der Daseinsfürsorge. All dieses sind Instrumente eines sozialen Staates, die an der Basis durch die Landkreise und Kommunen verwaltet und verteilt werden. Bevor die Haushaltsmesser gewetzt werden, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass die essentielle Grundlage jedes Staates das Vertrauen der Menschen in ihn ist, in solchen Krisen ausgleichend und solidarisch zu handeln. Daher: nicht am Ast sägen, auf dem wir alle sitzen, sondern die Landkreise und Kommunen auf den grünen Zweig kommen lassen. Dafür braucht es einen ordentlichen Schutzschirm, keinen „Knirps“.