Nachrichten aus dem Kreisverband

Tanz auf dem Vulkan

PositionGemeinderatKV TübingenAktiv vor Ort

Vor acht Tagen kam es in Ergenzingen mit rund 800 Zuhörern in der Kirche "Heilig Geist" zu einer denkwürdigen Info-Veranstaltung über die Unterbringung und Odyssee von 450 Flüchtlingen. Eine hochexplosive Stimmung, die jederzeit kippen und sich in handfeste Tumulte hätte entladen können, war zu spüren. Für die Politiker aus Stuttgart, Tübingen und Rottenburg, die aufgebrachte Bürger mit Fakten und Worten zu besänftigen hatten, war dies ein veritabler Tanz auf dem Vulkan - zunächst mit ungewissem Ausgang.

Über alle Meinungsverschiedenheiten im politischen Alltag hinweg war es nicht zuletzt Oberbürgermeister Neher und Landrat Joachim Walter zu danken, dass die Veranstaltung im Kirchenraum (noch) weitgehend in geordneten Bahnen verlief - von lautstarken Pöbeleien unter der Gürtellinie abgesehen. Zu bewältigen haben die Flüchtlingsproblematik freilich wir alle, Bürger und Politiker gemeinsam.

Reiben muss man sich dieser Tage auch die Augen über die Bundeskanzlerin, die der "Spiegel" sarkastisch zur "Mutter Angela" stilisierte. Ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage ist insgesamt bemerkenswert. Bemerkenswert ist freilich auch, dass in der aktuellen Diskussion über die gigantische Völkerwanderung der Flüchtlinge aus dem Mittelmeerraum, Asien und Afrika die Ursachen hierfür sträflich übersehen werden. Die Bundesrepublik hat mit ihren gigantischen Waffenlieferungen (unter anderem Heckler und Koch) in nahezu alle entscheidenden Krisengebiete maßgeblich für die Destabilisierung dieser Regionen gesorgt. Es gibt so gut wie keinen UN-Einsatz mit deutscher Beteiligung, der zu einer Befriedung beigetragen hätte.

Ganz im Gegenteil. Wirtschaftlich haben die EU und auch die USA zum Beispiel Entwicklungs- und Schwellenländer jahrzehntelang durch Schutzzölle stranguliert, so dass eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung im Keim erstickt wurde. Die prekäre Flüchtlingssituation ist auch das Ergebnis einer postkolonialen Ausbeutung dritter Länder und Ethnien. Daran müssen wir uns dringend erinnern, wenn verängstigte Frauen, Kinder und Hoffnung Suchende bei uns anklopfen und um Mitmenschlichkeit bitten. Aber vergessen wir dabei nicht: Es geht auch um ein Stück Wiedergutmachung.

Christian Hörburger, Stadtrat Linke, Rottenburg