Nachrichten aus dem Kreisverband

Rede zum Kreishaushalt 2019

KV TübingenPosition

Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Der Haushaltsentwurf ist Ausdruck eines anhaltenden Wirtschaftsbooms in Deutschland und insbesondere in unserer Großregion.
Der Ansatz weist höhere Einnahmen und Schlüsselzuweisungen aus als letztes Jahr.
Der Ergebnishaushalt steigt um 13,5 Millionen Euro auf einen Gesamtumfang von fast 255 Millionen. Die Verwaltung erwartet auch für das Jahr 2019 wieder ein Ansteigen der Steuerkraft der Städte und Gemeinden.

Wir wissen, die augenblickliche Situation ist stabil, aber wenn sich die Wirtschaftslage ändert, sind die Kommunen und Landkreise strukturell unterfinanziert. Im Ländervergleich der 13 Flächenländer sind wir laut Gemeinde-finanzbericht des Gemeindetages Baden-Württemberg sogar das Flächenbundesland, das bei den Förderleistungen und Zu-weisungen des Landes an die Kommunen an letzter Stelle liegt.

Wirtschaftserfolge und hohe Gewinne haben eine Kehrseite und die lautet: Das ist zum Teil erkauft mit niedrigen Löhnen und mit zu niedrigen Kapitalertragssteuern. Deutschland hat Exportüberschüsse von über 250 Mrd Euro im Jahr. Das bedeutet: andere Industrieländer machen Schulden um unsere Produkte kaufen zu können.
Deutschland investiert im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu wenig, das kritisieren die EU und alle anderen Industriestaaten.
Der Gemeindefinanzbericht spricht von einem Gesamt-Investitionsrückstand, der im vergangenen Jahr nochmal angestiegen ist auf jetzt 159 Milliarden Euro.
Ausbau und Modernisierung der Schulen ist mit 48 Milliarden der größte Brocken – noch vor der Verkehrsinfrastruktur.
Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Investitionsfreudigkeit des Landkreises in Schulen, Schulsozialarbeit, Integration, Programm 4.0, Soziale Infrastruktur, Verkehr und Regionalstadtbahn.
Zur Kehrseite der guten Wirtschafts-entwicklung gehört auch, dass die Zahl der Menschen, die auf Hartz IV oder aufstockende Sozialleistungen angewiesen sind, nicht sinkt sondern – in etwa – gleich bleibt oder sich leicht erhöhen wird. Die Verwaltung rechnet 2019 mit rund 4.200 Bedarfsgemeinschaften, dabei sind anerkannte Asylbewerber, die neu in den SGB-II Bezug kommen, noch nicht berücksichtigt.

Zur Kehrseite der brummenden Wirtschaft zählt ebenso, dass die Zahl der erwerbstätigen Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, steigt.
Da sind viele Leute dabei, die im Niedriglohn arbeiten müssen, teilweise sogar in Vollzeit. Oder das sind Erwerbstätige, die sich z.B. im Wissenschaftsbetrieb von Befristung zu Befristung, von Teilzeitjob zu Teilzeitjob hangeln und erst gar nicht in den Genuss von Arbeitslosengeld 1 kommen, wenn sie erwerbslos werden.
Arm trotz Erwerbsarbeit ist gesellschaftliche Realität und das gilt auch in den reicheren Bundesländern.
Bei jedem fünften Vollzeitbeschäftigten in Deutschland liegt der Lohn unter der Niedriglohnschwelle: diese Schwelle gilt, wenn abhängig Beschäftigte weniger als zwei Drittel als den durchschnittlichen Stundenlohn erhalten.
In urbanen Regionen mit explodierenden Mieten wie in Tübingen und Stuttgart sind Leute im Niedriglohn doppelt benachteiligt und auf Unterstützung angewiesen. Bis rein in die Mittelschicht haben insbesondere Familien mit Kindern inzwischen Probleme eine bezahlbare Wohnung zu finden. Der Lohnanteil, der für Miete ausgegeben werden muss, steigt stetig.

Das bedeutet:
Sozialtransfers fallen auch deshalb an, weil Löhne schlicht zu niedrig und die Wohnungsmieten nicht mehr bezahlbar sind.
Ungeachtet aller Erfolgsmeldungen zum deutschen Arbeitsmarkt stieg die Zahl der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohn seit der Einführung von Hartz IV um 8 Prozent.
Frage: Was hat das mit unserem Haushalt zu nun? Antwort: viel. Denn beim Landkreis kommt das Problem der Niedriglöhne an in Form aufstockender Leistungen und bei den Ausgaben für Kosten der Unterkunft und für Bildung und Teilhabe. Das wirkt sich zudem langfristig aus bei Grundsicherung im Alter, Hilfe zur Pflege und bei den Kommunen beim Wohngeld.

Volkswirtschaftlich gesehen sind das zumindest zum Teil, Subventionen an diejenigen, die zu niedrige Löhne zahlen und die vom Niedriglohnbereich profitieren: Zu den Profiteuern gehören Arbeitgeber, die sich aus bestehenden Tarifverträgen herausstehlen wie jetzt gerade die Real-Märkte von Metro, die den Verkäuferinnen in Weilheim hier um die Ecke massiv die bestehenden Tariflöhne kürzen.

Das sind Dienstleister wie Hermes oder S-mail oder Amazon, die offiziell Mindestlohn zahlen oder leicht darüber, aber gleichzeitig die Beschäftigten drücken und oft noch zusätzliche Ausbeutung betreiben über unbezahlte Mehrarbeit.
Das sind Reinigungsfirmen, die mit Aushilfskräften in öffentlichen Gebäuden tätig sind und weniger zahlen als das im Tarif Öffentlicher Dienst üblich ist. Das Hartz IV-Sanktionssystem schützt und stützt diese Ausweitung im Niedriglohn1, weil die Betroffenen ja immer Kürzungen und Strafen zu fürchten haben, wenn sie nicht jede Arbeit annehmen. Deshalb müssen diese Sanktionen weg.

Nehmen wir die Kosten der Unterkunft.
Aus den Eckdaten der Abteilung Soziales im Haushaltsplan geht hervor, dass der Landkreis Tübingen 23,3 Millionen Euro Ausgaben für die Kosten der Unterkunft im SGB II erwartet. Voraussichtlich wird der Bund davon 55 Prozent übernehmen. Der Landkreis muss also rund 10 Millionen aufbringen.

Natürlich wollen wir Linke, dass der Landkreis diese Kosten der Unterkunft ordentlich bezahlt und anpasst an die gestiegenen Mieten.
Aber gleichzeitig machen wir darauf aufmerksam, dass genau mit diesem Konstrukt KdU und Wohngeld die überhöhten Mietniveaus in unserer Region mit gestützt und indirekt gefördert werden.
Das ist ein Systemfehler. Viel besser wäre es, wenn es Gesetze gäbe, die Spekulation mit Boden und Wohnraum verhindern und verbindliche Höchstmieten vorschreiben. Und besser wäre es, wenn der Staat und die Länder und vor allem die Kommunen wieder selbst als gemeinnützige Akteure am Wohnungsmarkt auftreten würden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Es gibt nicht nur an Stammtischen immer wieder das böse Wort von den Sozialschmarotzern. Die wirklichen Sozialschmarotzer im Bereich Wohnungswirtschaft sind private Heuschrecken und DAX-Wohnungsunternehmen wie Vonovia, die auch in unserem Landkreis nichtmal Grunderwerbssteuer bezahlt haben und seit Jahren Riesenprofite generieren und deren Aktien erfolgreich an der Börse gehandelt werden. Wir sagen: der Börsenhandel mit Wohnraum gehört verboten. Wir brauchen mehr sozial geförderten Wohnungsbau statt Subventionierung von hohen Mieten.
Im Resolutionstext zum Thema Wohnen, den wir heute vielleicht verabschieden, steht, dass die Bundesregierung stärkere Anreize für private Investoren schaffen soll. Diese Aussage finden wir nicht richtig, denn genau das tut die Bundesregierung ja bereits.
Wir wollen, dass die öffentliche Hand stärker genossenschaftliche und gemeinwohl-orientierte und kommunale Wohnbauprojekte fördert. Und wir wollen, dass die Kommunen, dass Städte und Gemeinden den sozialen Wohnungsbau auch eigentumsrechtlich zu ihrer Sache machen können – zum Beispiel – durch Förderung des preisgünstigen Bodenerwerbs für kommunale Gesellschaften wie die Kreisbau. Wir brauchen einen Neustart der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau.

Deshalb stellen wir mit der SPD den Antrag 22 in der Synopse. Ein Punkt Kreisumlage für Investitionsfördermaßnahmen im kommunalen Wohnungsbau – zumindest mal für das kommende Jahr 2019. Ein Wertzuwachs etwa bei der Kreisbau käme dem gesamten Landkreis zugute, indirekt auch den Kreisgemeinden, die nicht Gesellschafter in der Kreisbau sind. Das entsprechende Produkt steht im Haushalt etwas verlassen auf Seite 211 mit der Produktnummer 5220-1 und heißt Wohnbau-förderung. Aber da steht nicht viel drin.
Mit einem Punkt Kreisumlage für dieses Produkt Wohnbauförderung lägen wir immer noch beim Kreisumlagehebesatz des letzten Jahres. (Also prozentual keine Verschlechterung). Ziel wäre, am Markt mehr preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Das muss zu einer Angelegenheit des gesamten Landkreises werden.
Die Kreisbau war aktiv mit dabei und große Hilfe, als die Verwaltung vor zwei Jahren vor der operativen Aufgabe stand, auf die Schnelle die Flüchtlingsunterbringung zu organisieren.
Es ist nicht gut, wenn die Kreisbau weiter darauf angewiesen ist, den sozialen Wohnungsbau mit dem Bau und Verkauf teurer Eigentumswohnungen finanzieren zu müssen.

Die Zweite große Baustelle für uns Linke ist und bleibt die Schülerbeförderung. Das wiederholen wir solange gebetsmühlenartig weiter, bis sich etwas bewegt.
Die Landesregierung ignoriert dieses Problem beharrlich. Den Schaden hat jetzt der Landkreis, der mit Rechtsklagen von Eltern umgehen muss.
Schülerbeförderung ist Bestandteil des Rechts auf Bildung und Bestandteil der Schulbildung. Diese Sicht setzt sich langsam durch und das ist gut auch im Sinne der kleinen Kreis-gemeinden, deren Schüler besonders auf Bus und Bahn angewiesen sind.
Ich erinnre die Bürgermeister hier im Raum nochmal daran: Es gibt ein Bundesland, wo Bürgermeister noch mächtiger sind als hier, wo CSU und Freie Wähler in der Landesregierung sitzen: im Nachbarland Bayern, ist die Beförderung von schulpflicht-igen Kindern und Berufsschülern bereits frei.

Bei uns im Landkreis zahlen die Schüler immer noch mehr als Studierende, mehr als RentnerInnen und mehr als Uniprofessoren und Chefärzte mit Jobticket.
Wir fordern eine wirksame Entlastung zumindest auf das Niveau der Semestertickets. Zuallererst braucht es eine schnelle Lösung für die Schülerinnen, die aus einkommens-schwachen Familien kommen, aber knapp über dem BuT-Anspruch liegen, Stichwort Schwellenarmut.
Das Argument, wir dürfen deshalb noch nichts tun, weil wir dann möglicher Weise den zukünftigen Verpflichtungen des Landes vorgreifen, halten wir nicht für stichhaltig. Siehe das Beispiel Glasfaserausbau: das ist explizit auch keine kommunale sondern Bundesaufgabe. Auch da engagieren sich Kommunen jetzt selbst tätig, weil die Bundesebene versagt hat. Und dabei empfiehlt der Gemeindetag den Kommunen passende Bedingungen und Rechtvorbehalte um sich zu schützen. Ähnlich könnte das bei der Schüler-beförderung auch laufen. Wir im Landkreis tun was – aber bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage ohne jede Anerkennung eines Rechtsanspruches. Das wäre unser Vorschlag.
Aber gerne sind wir trotzdem heute bei einer Erklärung des Kreistages dabei, die das Ziel formuliert, bis 2020 eine wirksame Entlastung zu erreichen.
Hinweis: Das Land BaWü zahlte im letzten Jahr 2017 für Geldanlagen allein 10,8 Millionen Euro Negativzinsen. 10,8 Millionen Negativzinsen für die Schwarze Null. Ist das nicht pure Verschwendung? Ist das nicht verrückt? Schulden machen wäre billiger. Und sinnvoller wäre es bestimmt gewesen das Land hätte dieses Geld in die Schülerbeförderung gesteckt als den Banken geschenkt.
Letzte Bemerkung: wir bedanken uns bei der Verwaltung und allen Beschäftigten des Landratsamtes und der Versorgungsbetriebe des Landkreises für ihre geleistete Arbeit und wünschen ihnen erholsame Weihnachtsferien.

Und – wir hoffen im Sinne der Beschäftigten, dass die Anpassung der Zuschüsse für das Jobticket hier in dieser Runde durchgeht.

Danke schön!