Nachrichten aus dem Kreisverband

Haushaltsrede Kreistag 2021

Margrit Paal, Kreistagsfraktionsvorsitzende
KV TübingenPosition

Sehr geehrter Herr Landrat Walter, verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Wenn ich an dieses Jahr zurück denke dann wird mir erst bewusst, wie sehr unsere Welt aus den Fugen geraten ist. Andererseits sehe ich heute in alle unsere Gesichter und merke auch, dass wir uns trotz dieser krisenhaften Situation weiter ehrenamtlich und kommunalpolitisch engagieren – wenn auch in Videokonferenz. Das ist auch ein Stück Normalität, das mich sehr freut und dafür möchte ich mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken!

Der Haushalt 2021 wird wahrscheinlich der letzte seiner Art sein – relativ einvernehmlich und ohne Murren beraten und beschlossen. Auch die Beratung der Freiwilligkeitsleistungen wurden sehr kollegial und mit guten Ergebnissen geführt, dafür möchte ich mich auch noch explizit bedanken. Diese eher entspannten Beratungen wird es nächstes Jahr aufgrund von Corona und des einhergehenden Wirtschaftsrückgangs nicht mehr geben. Zudem führen die Lockdowns in den Bereichen Industrie, Kultur, Hotel, Gastronomie sowie deren Zulieferer zu steigenden Insolvenzen und höherer Arbeitslosigkeit sowie steigender Armut im Landkreis.

Mitten in der sich verschärfenden Corona-Krise hat der Bundestag letzte Woche gegen die Stimmen der Linken und der Grünen den höchsten Rüstungshaushalt aller Zeiten beschlossen: im kommenden Jahr werden 47 Millarden Euro – nach NATO-Kriterien sind es 53 Milliarden Euro – für Aufrüstung und Militarisierung ausgegeben. Mehr als alle Ausgaben für Bildung und Gesundheit zusammen.

Der letzte Woche beschlossene Gesundheitsetat des Bundes dagegen wird gegenüber dem letzten um Millarden auf 35 Millarden Euro gekürzt. Darin sind zwar 11 Millarden für Corona-Folgen wie Tests, Impfungen enthalten, dafür wurde jedoch in anderen Bereichen gekürzt, z.B. in der Pflegevorsorge. Dabei hat sich gerade in der Krise gezeigt, wie verhängnisvoll die Vernachlässigung der Prävention für die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung ist.

Aber auch hier im Landratsamt gibt es die Gewinner der Krise. Die Bundeswehr unterstützt das Kontaktdaten Management und nutzt die Pandemie als Werbekampagne um ihr durch rechte Netzwerke ramponiertes Image aufzupolieren und sich als Helfer im zivilen Bereich zu präsentieren. Mit einem Bruchteil der beschlossenen Ausgaben für die Bundeswehr könnten ausreichend zivile Kräfte zur Unterstützung der Gesundheitsämter eingesetzt und finanziert werden! Was wir brauchen sind nicht Soldat*innen in den Gesundheitsämtern, sondern endlich ausreichend Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Denn dieses Jahr ist besonders verheerend für die älteren Menschen in Baden-Württemberg. Auch hier im Landkreis sind wir im Pflegebereich unterdurchschnittlich versorgt, nicht nur im Bereich der stationären Pflege. Wir beobachten mit Sorge, dass wahrscheinlich momentan kaum Kapazitäten zur Neuaufnahme von Pflegefällen vorhanden sind. Es wird wieder keine Entlastung der pflegenden Angehörigen geben – zusätzlich zu der sowieso schon prekären Situation in den Familien aufgrund der Pandemie.

Und auch der Landkreis wird zum Verlierer der Pandemie werden, wenn an anderer Stelle nicht die richtigen politischen und finanziellen Weichen gestellt werden. Bereits jetzt ist absehbar, dass das Krisenmanagement und die Gelddruckmaschine der Bundesregierung ein Umverteilungsprogramm von unten nach oben ist.

Je reicher man ist, desto mehr profitiert man von den Pandemiehilfen der Bundesregierung. Wer hat, dem wird gegeben. Menschen mit hohen Gehältern bekommen mehr Kurzarbeitergeld als Menschen mit niedrigen Gehältern, und Vermieter bekommen Ausfälle durch den Staat ersetzt. Arme Menschen werden bei allen Pandemiehilfen abgesehen vom Kinderzuschlag nicht berücksichtigt. Armut ist kein Zufall, sondern das Ergebnis neoliberaler Politik. Sie fördert, dass Menschen sich trotz des Virus jeden Morgen in den Bus setzen müssen, um Häuser zu bauen, zu kassieren oder Kinder zu betreuen. Sie fürchten mehr ihren Job zu verlieren als sich mit einer potenziell tödlichen Krankheit anzustecken. Hartz IV wäre noch schlimmer. Aber es gibt auch diejenigen, die wegen der Pandemie erwerbslos werden.

Und für all diese Menschen ist oder wird der Landkreis zuständig, wenn sie auf die sozialen Sicherungssysteme angewiesen sein werden.

Ein Teil der versteckten Armut betrifft die Obdachlosigkeit. Wohnsitzlose Menschen sind nicht immer in den Kommunen offiziell registriert, sondern leben zum Teil vereinsamt weit weg von jeder amtlichen und gesellschaftlichen Hilfe. Manche versuchen nach dem Verlust des Wohnraums über längere Zeiträume im Bekanntenkreis unterzukommen, in der Hoffnung auf baldige Verbesserung ihrer Lage und bald ein neuen Obdach zu finden. In einer ehrlichen und umfassenden Untersuchung der Situation dieser Menschen sehen wir die Chance, uns einen detaillierten Blick auf ihre Lage im Landkreis zu verschaffen und danach gegebenenfalls zu überlegen, wie wir auch für sie eine Rückkehr in die Normalität der Gesellschaft ermöglichen.

Nicht nur in der Weihnachtszeit sollten wir an die bekanntesten Wohnsitzlosen aus der Bibel denken, sondern unseren ethischen und moralischen Handlungsanspruch auch ganzjährig in den Alltag integrieren.

Bei den Haushaltsberatungen im Vorfeld hat sich bereits gezeigt, dass wir keine allzu großen Sprünge erwarten können. Es geht also um die Sicherung des Bestehenden, große Innovationen sind nicht zu erwarten.

Dabei wäre das beim Thema Schülerbeförderung dringend notwendig. Vorletztes und letztes Jahr waren wir uns in einer gemeinsamen Erklärung „einig, dass die Familien von den hohen Schülerbeförderungskosten entlastet werden müssen“. Wir haben uns aber auch vorgenommen „über die Konsequenzen zeitnah zu entscheiden, mit dem Ziel, ab 2021 eine wirksame Entlastung für Eltern und Landkreis zu erreichen“. Jetzt stehen zwei Anträge zu dem Thema auf der Tagesordnung. Unser Antrag beinhaltet eine Senkung in zwei Schritten, unser Grundgedanke ist eine spürbare Förderung in einem kürzeren Zeitraum zu beschließen.

Ich befürchte, wir werden wieder keinen deutlichen Schritt vorankommen in der Gleichbehandlung von Schülerinnen und Schülern und der Entlastung von Familien. Das ist gleichzeitig kein wirksames Instrument, um die Landesregierung an ihre Verpflichtung zu erinnern sondern zeigt allenfalls, welche Versprechungen wir uns hier im Gremium gegenseitig machen um sie denn nicht einzuhalten.

Unser Antrag zur Wohnungsbauförderung beinhaltet einen Zuschuss für Neubauten, die ausschließlich nach sozialen Kriterien vergeben werden soll. Damit werden die oftmals vorhandenen Zuschüsse der Kommunen finanziell aufgestockt, um die Erstellung von sozialem Wohnraum zu fördern und mehr bezahlbaren Wohnraum in der Fläche des Landkreises zu schaffen. Das ist sicherlich ein finanzieller Brocken der zwar groß aussieht, sich aber mittel- und langfristig auf das Mietniveau und damit die Sozialleistungen auswirkt, die der Landkreis ja auch finanziert. Wir merken aber auch dass dieser Ansatz schwer vermittelbar ist, wenn andere Fraktionen der Meinung sind, im nächsten Jahr wären keine finanziellen Spielräume für neue Projekte enthalten.

Entgegen dieser Auffassung beantragen wir zwei Stellen für den Bereich der IT sowie zwei zusätzliche Ausbildungsstellen für Fachinformatiker*innen. Wir sehen die Digitalisierung als eine große Zukunftsaufgabe des Landkreises. Nicht nur neue Arbeitsmethoden für die Beschäftigten des Landkreises, auch ein verbessertes Krisenmanagement durch digitale Daten Übermittlung gehört dazu. Ungeklärt ist aus unserer Sicht bisher auch, welche Aufgaben in diesem Bereich durch die Impfzentren entstehen. Natürlich gibt es aktuell ein Gewinnungsproblem von Fachkräften, wir halten es trotzdem für sinnvoll die Gelder im Haushalt bereitzustellen und bei Bedarf abzurufen. Einsparen wegen Nichtbesetzung ist immer einfacher als Ausgeben ohne Kreistagsbeschluss.

Im übrigen machen wir uns damit auch eine Argumentation des Personalrats zu eigen, der die Interessen der Beschäftigten vertritt. Dazu hätten wir auch eine kostenneutrale Anregung, die gleichzeitig innovativ für die Arbeit im Kreistag wäre: statt der Anfrage, ob eine Stellungnahme des Personalrats vorliegt könnte dieser doch zur Raschelstunde eingeladen werden und in diesem Rahmen für Fragen der Kreisrätinnen und Kreisräte zur Verfügung stehen.

Mit den bisherigen Ergebnissen der Beratungen über die Freiwilligkeitsleistungen sind wir nicht an jeder Stelle zufrieden. Wir haben bereits begründet, dass uns das Subsidiaritätsprinzip ein wichtiges Gut ist und daher auch Vereine gefördert werden sollen, die eine wichtige Aufgabe im sozialen Bereich komplementär zur Verwaltung übernehmen. Wir sind immer noch der Meinung, dass der Antrag des Vereins move on für das Projekt Plan B die gleiche Unterstützung verdient wie die Rückkehrberatungsstelle im Landratsamt.

Wir unterstützen ausdrücklich die Investitionen in die Schulen des Landkreises, denn wir wollen die Zukunft gestalten und nicht den Mangel verwalten.

Von John F. Kennedy stammt das Zitat „Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit.“. Lassen Sie uns gemeinsam die Gelegenheit nutzen zumindest an einigen Stellen großzügig zu sein und auch innovativ und nachhaltig wirken. Wie Eingangs schon gesagt ist es vielleicht die letzte Gelegenheit vor den zukünftigen mageren Haushaltsjahren. Daher stehen wir auch hinter einer niedrigen Kreisumlage. Wir sehen, dass über diesen Hebel die Kommunen entlastet werden, die aller Voraussicht nach auch zu den Verlierern in der Krise zählen werden, da sie am Ende der Nahrungskette sind. Wir sind solidarisch und sehen die Verantwortung beim Bund und bei den Ländern, Rettungspakete wie auch im privatwirtschaftlichen Bereich für die kommunale Familie aufzuerlegen.

Uns liegt für nächstes Jahr ein ausgeglichener Haushalt vor, das ist für uns auch ein Ergebnis solider Verwaltungsarbeit. Die Anerkennung dafür geht an alle Beschäftigten des Landkreises, die täglich hervorragende Arbeit leisten und die offensichtlich im zurückliegenden Jahr in hohem Maße mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert waren. Diese Leistungen sind nicht selbstverständlich, vielen Dank dafür!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich wünsche uns allen kollegiale Beratungen und natürlich sind Sie alle eingeladen, sich unseren Anträgen anzuschließen!

(Es gilt das gesprochene Wort)