Nachrichten aus dem Kreisverband

Bleiberecht für Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit – Resolution der Linken im Kreistag Tübingen

AntragRedeKV Tübingen

Der Kreistag Tübingen unterstützt die Forderung von über 80 Unternehmern aus Baden-Württemberg an Landesinnenminister Thomas Strobl, allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit – unabhängig von ihren jeweiligen Herkunftsländern – ein Bleiberecht zu erteilen und damit die andauernde Rechtsunsicherheit sowohl der Geflüchteten wie auch der Unternehmen zu beenden. Dazu gehört, dass die Drei-plus-Zwei-Regel auf die einjährigen Ausbildungsgänge ausgedehnt wird. Ein sicherer Ausbildungsstatus für die Flüchtlinge kann nicht solange warten, bis der jahrelange Streit um ein Einwanderungsgesetz geklärt ist.

In seiner Rede begründete Dr. Emanuel Peter den Resolutionsvorschlag der Linken:

Herr Landrat, werte Kolleginnen und Kollegen!

Bereits vor einem Jahr haben 60 Betriebe aus allen Branchen în Baden-Württemberg von Innenminister Strobl ein Bleiberecht für die bei ihnen beschäftigten Flüchtlinge gefordert. Jetzt haben erneut über 80 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 45 Milliarden Euro und rund 2.000 Flüchtlingen in fester Anstellung oder Ausbildung eine Initiative gebildet. Darunter Schraubenkönig Würth, Vaude-Geschäftsführerin Antje von Drewitz und Trigema-Chef Wolfgang Grupp. Für ihren Geschäftsbereich spricht die IHK Reutlingen von 66 Flüchtlingen in einem Praktikum und 14 in einer Berufsausbildung als Koch, Verkäufer, Maschinen- und Anlagenbauer, oft in Berufen, in denen händeringend Nachwuchs gesucht wird. Sie stammen aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea, Somalia, Gambia, Syrien, Iran und Irak. Betriebe und IHKs fordern von Innenminister Thomas Strobl ein Bleiberecht für ihre gut integrierten Flüchtlinge, die sie nach dem Appell der Bundeskanzlerin 2015 in ihren Betrieben aufgenommen haben und die mittlerweile unbefristete Verträge haben, Sozialabgaben und Rentenbeiträge zahlen, jetzt jedoch abgeschoben werden sollen.

Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, erneut eine Resolution einzubringen. Sie ist vor dem aktuellen Sommertheater in Berlin entstanden, bei dem wegen fünf bis zehn Zurückweisungen pro Tag an der Grenze die Regierung durch die kleinste Gruppierung im Bundestag an den Rand des Zusammenbruchs gebracht wurde.

Doch der bildhafte Vergleich vom Sommertheater ist meines Erachtens beschönigend. Was wir aktuell erleben, ist etwas grundsätzlich Anderes: Wir steuern nicht auf eine Asylwende, sondern auf einen Zivilisationsbruch hin, bei dem mühsam errungene Menschenrechte, internationale Vereinbarungen und Grundrechte aus der Nachkriegszeit infrage gestellt werden. Populistische Schlagworte wie Asyltourismus, Einwanderung in Sozialsysteme oder Abschiebesaboteure sollen dies rechtfertigen:

unbegleitet eingereiste minderjährige Flüchtlinge - das sind 45 Prozent aller aktuellen Geflüchteten – werden nach Angaben der Arbeiterwohlfahrt in Internierungslager, auch Ankerzentren genannt, eingepfercht und entgegen der UN-Kinderrechtskonvention aller elementaren Rechte beraubt. 24 Flüchtlings- und Familienverbände wie die Caritas und die Diakonie lehnen sie grundsätzlich ab. In den bayrischen Asyllagern wird Kindern der Schulbesuch verwehrt – entgegen Artikel 26 der Menschenrechtserklärung.

Der besondere Schutz der Familie im Grundgesetz wird durch die massive Einschränkung des Familiennachzugs faktisch außer Kraft gesetzt. Angesichts von drei Millionen Flüchtlingen in der Türkei oder 20 Prozent der Bevölkerung im Libanon ist die Zahl beim deutschen Familiennachzug verschwindend gering und verschlechtert die Integration von Minderjährigen.

Die Abfertigung von Asylsuchenden an europäischen Außengrenzen in Schnellverfahren von 48 Stunden und ihre Abschiebung in Herkunftsländer setzt jegliche Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahren außer Kraft. Wenn Rechtsanwälte Abschiebeentscheidungen anfechten, werden sie als Angehörige einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ diffamiert und die Letztinstanz der Gerichte wird von Politikern offen angegriffen.

Das internationale Seerecht mit der Seenotrettung wird auf den Kopf gestellt, wenn Seenotretter zu Kriminellen erklärt und ihre Schiffe und Flugzeuge beschlagnahmt werden. Zehntausende haben am letzten Wochenende in deutschen Städten dagegen protestiert.

All das wird in der Berliner Erklärung zum Flüchtlingsschutz vom Juli diesen Jahres kritisiert, darunter von namhaften Organisationen wie dem Bundesverband AWO, dem Gesamtverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Caritas, der Diakonie, Pro Asyl und Amnesty International. Sie weisen darauf hin, dass die bitteren Erfahrungen des 2.Weltkriegs mit seinen Millionen Flüchtlingen 1950 zur Europäischen Menschenrechtskonvention und ein Jahr später zur Genfer Flüchtlingskonvention geführt haben.

Ich persönlich sehe durch die aktuelle Politik die Grundlagen für unsere Demokratie und für ein friedliches und soziales Europa infrage gestellt. Ich appelliere an Sie: Denken wir global und handeln wir lokal. Geben wir den gut integrierten Auszubildenden und Beschäftigten in den Betrieben eine Chance. Zeigen wir damit, dass eine menschliche Politik möglich ist.

Die Resolution wurde von 19 Mitgliedern des Kreistags aus SPD, Linke, der Mehrheit der Grünen und einigen CDU-lern unterstützt, die Mehrheit aus CDU und FWV lehnte ihn jedoch ab.