Nachrichten aus dem Kreisverband

Global denken - lokal handeln

Emanuel Peter, Stadtrat Rottenburg

Die Haushaltsrede im Rottenburger Gemeinderat von unserem Rottenburger Stadtrat Emanuel Peter:

Die Diskussion über die Energiekrise und den kommunalen Windpark in den letzten Monaten hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Leitidee „Global denken – lokal handeln“ zum Ausgangspunkt unserer Beschlüsse im Gemeinderat zu machen. Unser Land und unsere Kommunen befinden sich durch die Corona-Pandemie, durch die Klima-Zerstörung und durch den verbrecherischen Überfall Russlands auf die Ukraine in einer Abfolge tiefer Krisen. Jede Krise ist ein Appell, aus vergangenen Fehlern zu lernen und neu zu starten. Die bis­herige Zeitenwende weist jedoch in die Gegenrichtung, indem sie vergangene Fehler sogar noch verschärft und unsere Kommunen in Gefahr bringt. Nicht nur die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien gefährdet unser Leben, auch in Deutschland werden täglich 60 Hektar fruchtbare Flächen mit Folgen für die Artenviel­falt unwiederbringlich versiegelt. In Rottenburg sollen der Steinbruch Frommenhausen (4,4 Hektar) und der Bischoffsee (rund 9 Hektar) zur Kiesgewinnung erweitert werden, durch den Bau von Bundes- und Landes­straßen gehen immer mehr Ackerflächen verloren.

Die so genannten Entlastungsprogramme der Regierung enthalten nicht einmal einen Rettungsschirm für Kommunen wie nach der Finanzkrise 2008. Daher können wir unsere Pflichtaufgaben in der Daseinsvorsor­ge kaum noch erfüllen: Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeheime befinden sich im Dauernotstand. In den Kinderkliniken bedroht der Mangel an Personal und Medikamenten direkt das Kindeswohl. Das zeigt, dass die Politik der schlanken Staates der letzten Jahre zu einem Scherbenhaufen unseres Sozialstaats führt. Die Schwarze Null kann nur noch über Schattenhaushalte zu Lasten der kommenden Generationen gehalten werden, in Rottenburg müssen 2024 erstmals Schulden aufgenommen werden, um verschleppte Investitionen der schultern.

Die Politik der Bundes- und Landesregierung ist eine Zeitenwende zum Schlimmeren. Sie verschärft die so­ziale und politische Spaltung unserer Gesellschaft, so dass selbst Mitglieder des Sachverständigenrates der Bundesregierung höhere Steuern für die kleine Schar der Superreichen fordern. Denn sie haben sich in den letzten fünf Jahren die Taschen vollgestopft: Während die Vesperkirchen und die 960 Tafeln in unserem Land überrannt werden und jedes fünfte Kind in Armut aufwachsen muss, ist das reine Geldvermögen – also ohne Immobilienbesitz - laut Deutscher Bundesbank in den letzten fünf Jahren um 32 Prozent gewachsen und be­trägt jetzt 7,6 Billionen Euro. In diesem Kriegsjahr werden die DAX-Konzerne Rekordgewinne in Höhe von 54 Milliarden Euro ausschütten und damit Brechts Motto bestätigen: Wäret ihr nicht arm, wären wir nicht reich!

Sie werden sich fragen: Warum holt Herr Peter mal wieder so weit aus? Wir sind doch in der Haushaltsdebat­te. Genau! Viele vergessen, dass über die Kommunalhaushalte rund 70 Prozent aller öffentlichen Gelder – zumeist aus Steuern - vergeben werden. Das bedeutet, dass sie ein wesentliches Steuerungsmittel für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft sind. Eine Folge der Schwarzen Null und der Schuldenbremse ist jedoch, dass die Landesregierung immer mehr Kosten für Aufgaben, die sie beschlossen hat, auf unsere Kommunen abwälzt und das Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“ (Konnexitätsprinzip) mit Füßen tritt. Nur ein Beispiel: Jedes fünfte Jahr muss Rottenburg für 1,5 Mio. Euro alle digitalen Endgeräte in den Schulen erneu­ern, hinzu kommen Kosten für Wartung, Support und Ersatz. Seit Jahren weigert sich die Landesregierung, die Folgekosten dafür in Höhe von 760 Mio. Euro zu bezahlen, der neue Doppelhaushalt enthält keinen Cent dafür. Die Landesregierung verschenkt lieber ihren Dubai-Pavillon für 15 Mio. Euro, als Kitas und Schulen mit ausreichend Personal auszustatten. Ein Ergebnis ist, dass viele Grundschüler beim Übergang in weiterführende Schulen nicht einmal Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen besitzen.

Auch wenn wir nicht die Bundes- und Landesgesetze beschließen, sind wir doch verantwortlich dafür, was im Kleinen in unserer Großen Kreisstadt passiert. Gemäß dem Leitsatz „Global denken, lokal handeln“ wollen wir unseren Beitrag für eine soziale und ökologische Zeitenwende leisten, um das internationale 1,5 Grad-Ziel der Erderwärmung einzuhalten. Deshalb beantragen wir zum wiederholten Mal eine Klausurtagung zur Planung des Flächenverbrauchs, um der unkoordinierten Versiegelung entgegenzutreten. Unbebaute Flächen sind wichtig für die biologische Artenvielfalt und die Versorgungssicherheit mit Grund- und Trinkwasser. Hier brauchen wir einen Konsens über den Verbrauch für Infrastruktur, durch Straßenbau, durch Gewerbe-Ansiedlung, öffentliche und private Gebäude. Um den CO2-Abbau durch Wälder zu fördern, wollen wir auch mit einem 1.000-Bäume-Programm beginnen, das in den nächsten Jahren weitergeführt wird,.

Die Zukunft von uns allen und auch der Industrie beginnt mit Entwicklungschancen für unsere Kinder! Gera­de hat die Kultusministerkonferenz aller Bundesländer gefordert, in den Grundschulen die Kernkompetenzen in Deutsch und Rechnen massiv zu stärken. Für uns beginnt die Sprachförderung in der Kinderbetreuung, denn für junge Kinder unter drei Jahren ist die sprachliche Entwicklung der Schlüssel für ihr Denken und ihre soziale Teilhabe. Dafür benötigen wir für die Kernstadt und die 17 Stadtteile mindestens vier Sprach­lehrkräfte sowohl für Kinder wie auch für die Fortbildung der Fachkräfte.

Neben dieser Voraussetzung für die geistige Entwicklung ist uns die Gesundheit unserer Kinder besonders wichtig. Durch Corona und andere Ursachen nehmen Adipositas und Fehlentwicklungen in der Ernährung stark zu. Aus diesem Grund treten wir ein gebührenfreies und qualitativ gutes Mensa-Essen ein. Das ist nicht unsere schlaue Idee, sondern die des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Er schlägt eine Win-Win-Situation für nachhaltige Er­nährung in Kitas und Schulen vor, die Gesundheit, Soziales, Umwelt (einschließlich Klima) und Tierwohl miteinander verbindet. Sie kann zu einer umfassenden Transformation des heutigen Ernährungssystems füh­ren, wenn dies vor Ort in den Kommunen umgesetzt wird. Dafür schlagen wir eine Planungsrate vor, um diesen Weg zu beschreiten.

Insgesamt brauchen wir eine Verlässlichkeit für eine qualitativ gute Kinderbetreuung, wie sie im Orientie­rungsplan des Landes vorgesehen ist. Berufstätige und vor allem Alleinerziehende müssen sich auf Betreu­ungszeiten verlassen können. Fachkräfte dürfen nicht durch Krankheitsfälle, Fortbildung, Dokumentationen und Elterngespräche ausfallen oder wegen Dauerüberlastung kündigen. Deshalb muss die Personalreserve so angehoben werden, dass Personalausfälle ausreichend berücksichtigt werden. Zum System einer verlässli­chen Kinderbetreuung gehört unbedingt eine verbesserte Bezahlung und Berücksichtigung der Kindertages­pflege, wie sie der Landesverband der Kindertagespflege vorschlägt und durch Landkreis und Kommune verwirklicht werden sollte.

Warum stellen wir diese Anträge? Wir sind nicht nur für die allseitige Entwicklung der Kinder in unserer Stadt verantwortlich. Sondern wir gehen von der Erkenntnis aus, dass von ihnen die Entwicklung unserer ge­samten Gesellschaft abhängt: Wer erfindet und produziert neue Waren und Lebensmittel? Wer bildet und un­terrichtet später einmal unsere Enkel? Wer pflegt die älteren Menschen? Wer trägt unsere Kultur und Traditio­nen weiter? Wer engagiert sich für Umwelt und Demokratie? Für all dies ist die heutige Generation die Grundlage. Deshalb haben wir nicht nur eine Verantwortung für jedes einzelne Kind, sondern für die Ge­samtheit aller Kinder als Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft!

Zum Schluss möchten wir uns herzlich bedanken bei Herrn Meßmer und seinem Team für die gute Vorberei­tung der Haushaltsberatung, bei allen Beschäftigten in der Verwaltung und für Ihre Aufmerksamkeit. Wir freuen uns auf eine konstruktive Beratung!

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