Nachrichten aus dem Kreisverband

Haushaltsrede im Gemeinderat

Gerlinde Strasdeit

Tübingen, 20.03.2023

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
Liebe - natürlich intelligenten - Bürgerinnen und Bürger.  

In den zwei letzten Jahren sind die Preise über 13 Prozent gestiegen, die Gehälter im öffentlichen Dienst dagegen nur um 3,2 %. Deshalb ist die Lage für die abhängig Beschäftigten ernst – sie sind die Hauptverlierer der Inflationskrise - für die unteren Einkommensgruppen geht das direkt an die Substanz. In Tübingen - mit extrem hohen Mietpreisen - gilt das besonders. Deshalb erklären wir Linken uns solidarisch mit den gewerkschaftlichen Warnstreiks, die diese Woche stattfinden. 
 
Wer über den Fachkräftemangel in Kitas, Pflegeeinrichtungen und Ämtern klagt, - muss auch darüber reden, - dass der Öffentliche Dienst nicht weiter an Anziehungskraft verlieren darf, sondern sich in der Krise als stabil erweisen muss. Attraktive und verlässliche Dienste sind im Interesse aller. Deshalb (und nicht weil wir die Tarifhoheit in Frage stellen wollen, lieber Kollege Schöning) haben wir - zusammen mit der SPD und der FRAKTION - Herrn Oberbürgermeister Palmer aufgefordert, darauf einzuwirken, dass sich die Verhandlungen in Richtung Gewerkschaftsforderungen bewegen.
     
Und wenn die Kommunen trotz steigender Steuereinnahmen nicht genug Geld haben, ihre Leute vernünftig zu bezahlen, dann muss man halt endlich mal ran an die Spitzenverdiener und an die Superreichen - und an die riesigen Extragewinne von Energie- und Rüstungskonzernen. Die Situation ist doch: es geht weiter auseinander: die einen verdienen sich goldene Nasen, die große Masse der Menschen zahlt kräftig drauf.  

Ich wünsche mir, Herr Oberbürgermeister, - dass die Erzieher:innen und Pflegekräfte und die Müllwerker ähnlich hörbare Lautsprecher bei Lanz haben - wie die Rufe nach immer mehr Milliarden für zusätzliche Rüstung. Inzwischen ist die Hofreiterisierung der Politik noch weiter fortgeschritten - und es ist jetzt die Rede von 300 Rüstungs-Milliarden zusätzlich und (!) - von Umstellung auf Kriegswirtschaft. Machen wir uns nichts vor: das Geld fehlt an anderen Stellen. 


Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

meine Fraktion will dazu beitragen, dass die Verwaltung ihre zivilen Aufgaben hier in der Stadt besser bewältigen kann. Deshalb stellen wir erneut den Antrag, das sogenannte Kostendämpfungsprogramm von 6,1 Millionen einzustellen. Der Dauerdruck läuft seit Jahren. Es ist jetzt genug gedämpft worden.
 
Ergebnis: die Verwaltung kann in manchen Bereichen ihre Aufgaben nicht mehr ausreichend erfüllen - und muss zudem unnütze Zeit für die Konstruktion von KDP-Maßnahmen aufwenden, statt sich auf die Kernaufgaben zu konzentrieren. Was wir mittragen, ist in belasteten Bereichen eine Personalbedarfsanalyse durchzuführen und zügig einzustellen.   

Wir Linken haben vier große Haushalts-Anträge und einige kleinere. Alle haben einen sozialen und ökologischen Hintergrund. 

Besonderen Wert legen wir bei den interfraktionellen Beratungen auf eine deutliche Rabattierung des 49-Euro Tickets. Da wollen wir einen wirklichen Fortschritt: Wer in Tübingen wohnt, soll das auf 9 Euro rabattiert bekommen.  Der Zuschuss an die TüBus-Gmbh wird entsprechend erhöht.  

Wir sollten die Chance des 49 Euro Tickets nutzen, um jetzt ein sozial-ökologisches Angebot zu machen, das überzeugt und durchschlägt. Das wäre ein Schritt zur Verminderung des PKW-Verkehrs und für den Klimaschutz. Es ist bewiesen, dass mit günstigeren Preisen mehr Menschen zum Umstieg auf die Öffis zu gewinnen sind. Für Menschen mit niedrigem Einkommen und junge Leute in Ausbildung wäre das ein wichtiger Schritt zur Teilhabe. Auch  der innerstädtische Handel würde davon profitieren. 

Allerdings sind 49 € - und auch die 39 Euro - für viele Menschen zu teuer; so wird das Projekt nur wenig Wirkung erzielen. Wir wollen anknüpfen an den Erfolg des 9 €-Ticket im vergangenen Sommer. Findet unser 9 – Euro Antrag keine Mehrheit, unterstützen wir auch einen Zwischenschritt mit 29 Euro. - Allerdings dann bitte: mit einem Sozialpreis zu 15 Euro für Inhaber der BonusCard und Schüler und Azubis. Und ich unterstütze die Forderung des Personalrats der Stadt, das Ticket für Beschäftigte als Jobticket freizustellen.

Die Verwaltung wird wegen Fristablauf beim Naldo nur auf 39 Euro rabattieren. Wir halten fest an unserem Antrag - mit Wirkung zum nächstmöglichen Termin. Wir haben jahrelang über einen ticketfreien Nahverkehr diskutiert, mit sozialen und ökologischen Argumenten. Jetzt wäre ein Sprung möglich und wir schaffen damit eine Blaupause für die ganze Region.

Nächster Punkt: Wir fordern die Senkung des Hebesatzes der Grundsteuer B von 660 auf 610. Das kostet 1,5 Millionen, aber wir dürfen nicht vergessen: Die in Tübingen sehr hohe Grundsteuer wird noch immer 1:1 an die Mieter durchgereicht. Die Mieter:innen zahlen das - und nur solche Eigentümer, die ihr Wohneigentum selbst nutzen; das zahlen nicht die Vermieter. Diese Grundsteuer treibt das Mietniveau zusätzlich nach oben.   


Meine Fraktion fordert eine Kapitalerhöhung bei der GWG (3 Mio) - oder - ersatzweise - einen städtischen Kapitalstock für den Wohnungsbau. Wir brauchen öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Mehr Eigenkapital schafft der GWG mehr Bewegungsfreiheit in Zeiten steigender Zinsen und Baupreise. Aufgrund der veränderten Bedingungen der Landesförderung kann die Stadt zukünftig auch selbst als Bauherr auftreten.
 
Im Ausgleich dazu schlagen wir eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes von 390 auf 400 Punkte vor. Tübingen als sehr attraktiver Standort kann das verlangen. Die starken Unternehmen können sich das leisten. Für Kleine gibt es die Freibetragsgrenzen. 


Für die Tübinger Kitas beantragen wir die Anleitungszeit der Ausbildenden zu erhöhen. Um die Personalsituation in den Kitas zu verbessern, muss die Ausbildungskapazität ausgeweitet werden. Ein Schritt ist es, den Ausbildenden mehr Zeit für die Anleitung zu geben. 

Mit Marketingmaßnahmen allein ist es nicht getan. Es macht keinen Sinn, wenn die Kommunen sich gegenseitig die Leute abwerben. Es muss sich in der Substanz was ändern. Bei den jetzt gekürzten Öffnungszeiten darf es nicht bleiben. 
Das verhindert die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf.   
Das Problem ist doch nicht vom Himmel gefallen. Schon 2013 haben ver.di und GEW auf fehlende pädagogische Fachkräfte hingewiesen. In keinem Haushalt der vergangenen Jahre haben wir Mehrheiten bekommen, für mehr Auszubildende z.B. Pia’s. Cyber valley und KI waren immer wichtiger. Aber junge Leute legen eben zunehmend Wert auf die „weichen Faktoren“ – darunter auf gute Kitas und Schulen.

Ich habe in meinem Berufsleben schon viele Werbeagenturen kommen und gehen sehen und deshalb wenig Vertrauen in eine superteure Nobel-Werbeagentur, namens Kavallerie, - Kavallerie ist berittenes Militär. Das klingt mir zu sehr nach „reitender Gebirgsmarine“ und nicht nach Beseitigung des Fachkräftemangels in Kitas. Auch wenn es manche nicht mehr hören können: Die beste Werbung wäre es, man würde die Kürzungen bei den Verfügungszeiten wieder zurücknehmen. 
Wir fordern das seit Jahren. Diesmal haben wir auf einen Antrag verzichtet, weil der angesichts der zugespitzten Situation sowieso keine Chance hätte.

Gut, dass der Gesamtelternbeirat Druck gemacht hat und gut auch, dass sich die Erzieher:innen inzwischen wehren. Beides ist notwendig.

Ich möchte an dieser Stelle auch davor warnen, für die Misere in Kitas - und auf dem Wohnungsmarkt oder in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge - wieder die gestiegene Zahl der Geflüchteten verantwortlich zu machen, wie es Herr Palmer kürzlich in einem Brief an den Bundeskanzler tat.
Ja, Bund und Land müssen handeln und müssen bezahlen. Da stimme ich Ihnen zu. Aber die Geflüchteten sind nicht schuld daran, dass zu wenig Sozialwohnungen gebaut und zu wenig Erzieher:innen ausgebildet wurden. Es hat nichts, aber gar nichts mit Integration zu tun, wenn Kinder aus geflüchteten Familien aus den Kitas ausgesperrt werden.

Zum Antrag  #Move on (Plan B): Da ist uns ein Fehler passiert, wir beantragen nicht 10.000 Euro, sondern unterstützen den 30.000 Euro Antrag der SPD und der FRAKTION. Die Fachberatungsstelle ist eine funktionierende Schnittstelle zwischen Geflüchteten, Sozialarbeiter:innen, Arbeitgeber:innen, Ehrenamtlichen und Ämtern. Das entlastet die Mitarbeiter:innen im Ausländeramt und im Integrationsmanagement. Wir hatten das im Bericht im letzten KuBis: Auf eine Stelle Integrationsmanager:in kommen 140 Geflüchtete.

Ein Hinweis zum Reinigungsbereich – Das Verhältnis Eigenreinigung / Fremdreinigung wurde letztes Jahr auf 60% tarifgebundene Arbeitsplätze beschlossen. Diese 60% wurden nicht erreicht. Dazu fehlen 13 Stellen – die nicht besetzt werden konnten.  Das heißt: weiter dran bleiben und über andere AZ Modelle nachdenken.

Folgende Anträge möchte ich noch erwähnen:
Für das landwirtschaftliche und ökologische Projekt LernOrt Berghof beantragen wir 45.000 €. Das erfolgreiche Angebot für Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen muss unbedingt finanziell gesichert werden. 

Wir übernehmen gerne den Antrag des Jugendgemeinderats; für eine zusätzliche 50% Sozialpädagogenstelle in der Fachabteilung Jugendarbeit.
Für die Schulsekreteriate beantragen wir eine halbe Springerstelle.

Schulsozialarbeit: - in den Grundschulen der Teilorte wollen wir die Anwendung des gleichen Stellenschlüssels wie in der Kernstadt.
 
Jugendhaus Lustnau: Aufstockung auf eine 0,75 Stelle

Kinder- und Jugendbeteiligung: soll mit einer 50% Stelle die Interessen junger Menschen bei den städt. Planungen vertreten.

Beim KinderJugendcafe Bricks unterstützen wir die Forderung des JGR auf eine zusätzlich halbe SozPäd-Stelle.

IT an den Schulen: Kurzfristig aber wichtig – Wir beantragen eine Stelle für die IT der Schulen zu schaffen. Ansonsten werden die Schulen wieder auf den Stand von vor Corona zurückgeworfen.

Personalverwaltung: Wir fordern dringend die Personalstelle für die rechtliche Betreuung. Da gibt es laut Personalbedarfsanalyse eine „Engstelle“ beim Ablauf für die Bezüge und Abrechnungen. 
 
7000 Euro haben wir beantragt für unbeleuchtete asphaltierte Radwege und kombinierte Rad-Fußwege z.B. der Verbindungsweg zwischen Derendingen und Freibad wird mit einer weißen Randmarkierung versehen. Weiße Randmarkierungen tragen auf unbeleuchteten Wegen zur besseren Verkehrssicherheit und Orientierung der Radfahrenden bei.

Zum Abschluss noch eine direkte politische Bitte an Sie Herr Oberbürgermeister Palmer: 
Gefährden Sie nicht die Regionalstadtbahn Neckar-Alb als Gesamtprojekt. Die Stadt Tübingen ist auf die Beschäftigten und auf die Kommunen aus dem Umland angewiesen. Und unsere Stadt bleibt Hauptnutznießer des wichtigen Projekts - auch ohne die von der Bevölkerung mit klarer Mehrheit abgelehnte Führung der Innenstadtstrecke.    

Liebe Kolleginnen und Kollegen. 
„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen“
Das stand auf der letzten Neujahrskarte des OB.
Recht hat er - ein schöner Spruch! - gefällt mir, dachte ich - aber die Richtung, die passt uns noch nicht so ganz. Wir könnten auch anders.    - Danke

(Es gilt das gesprochene Wort)