Nachrichten aus dem Kreisverband

Das ist kein Haushalt des sozialen Ausgleichs

Gerlinde Strasdeit, Stadträtin

Manuskript / Haushaltsberatung am 15.4.2021
Linke-Fraktion, zur Abstimmung Haushalt 2021 – Nein.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster – und Baubürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Harsch,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Meine Fraktion kann diesen Haushalt nicht mittragen
Und zur Klarstellung: Uns wird nicht zu wenig, sondern zuviel gespart und gekürzt.

Das ist kein Haushalt, der zu Corona passt, das ist kein Haushalt des sozialen Ausgleichs. Das ist kein Haushalt, der den Beschäftigten gerecht wird, Stichwort Kostendämpfungsprogramm. Das ist vielmehr ein Haushalt, der das Wohnen und Leben in dieser Stadt noch teurer macht für Menschen mit geringem Einkommen, insbesondere für Familien mit Kindern; Stichwort Grundsteuererhöhung.

Der größten Fraktion im Gemeinderat, den AL-Grünen mach ich zum Vorwurf, dass Ihr Eure federführende Rolle bei den Verhandlungen im Gremium nicht wirklich wahrgenommen habt und die Anliegen aus den anderen Fraktionen nicht ernsthaft aufgegriffen habt.

Ich empfand die interfraktionellen Beratungen als nicht angemessen und als unflexibel bezüglich wichtiger sozialer und kultureller Projekte. Grüne und SPD ließen spüren, dass sie schlicht durchziehen wollten; Das finden wir schade.

Ausgerechnet der FDP Kollege Schöning sagte das,was wir auch schon mal angeregt hatten bei früheren Haushaltsbeschlüssen: – er sagte: warum lassen wir den Haushalt nicht ins Minus laufen? Schau‘n wir doch mal ob der Regierungspräsident, Herr Tappeser, den Haushalt als nicht genehmigungsfähig stoppt?
Ja – genau –diese Position unterstützen wir – jetzt – in außergewöhnlichen Zeiten müssen außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden. Und die Aussage vom Kollegen Gumrich von der Tübinger Liste hat mich überrascht– er brachte die Tübinger Eigenkapitalquote von 536 Mio ins Spiel, die kann man doch belasten! Das hätten wir gerne in dieser Krisensituation als Konsens im Rat. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste, deshalb darf ich das sagen, ich bin Ü 66 und seit über 21 Jahren im Gemeinderat – und ich dachte – wow – die alten Hasen und Häsinnen haben richtig Power! Das würde ich mir vom Rest des Gremiums auch wünschen.

Bei der KDP – der sogenannte Kostendämpfung hat die Rathausspitze die Latte von 2,1 Mio. im Jahr 2019 jetzt auf 4,2 Mio. Euro hochgelegt und mit Grüne, SPD und FRAKTION jetzt auf 4,5 Mio. erhöht! Darauf kommen auch noch drei Millionen „Globale Minderausgabe“. Das bedeutet einen ständigen Druck auf die Beschäftigten. Da gibt es auf Dauer innere Kündigungen, manche gehen auch, weil sie kein Licht, am Ende des Tunnels sehen. Gerade im Planungs- und Bauamt ist das geschehen. Leider gab es das Ansinnen auch von manchen Kollegen der Tübinger Liste und FDP, diesen Druck noch weiter zu erhöhen. Insbesondere an die Grünen und die SPD Kolleginnen und Kollegen und an die FRAKTION, die jetzt den Haushalt tragen, will ich ausdrücklich sagen, ihr tut da nichts Gutes, wenn ihr die Lasten der Krise voll auf dem Rücken der Beschäftigten austragt und dem der Tübinger Miethaushalte. Das Geld fehlt bei Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen.

Wir fühlen uns leider bestätigt in unserer Befürchtung: mit diesem Kürzungs- und Einsparpotential werden die 5 Millionen Euro frei geschaufelt , die in den sogenannten Innovationspark Künstliche Intelligenz gesteckt werden sollen. Geld, das nicht den Tübinger Bürgerinnen und Bürgern zu Gute kommt sondern der Kommerzialisierung von Forschung und den Goldgräbern auf dem Cyber Hill.

Thema Grundsteuererhöhung: Es ist eine totale Irreführung, wenn so getan wird, als sei eine Grundsteuererhöhungvon 560 auf 660 Prozentpunkte sowas wie eine Kommunale Vermögenssteuer. Genau das ist sie nicht. Sie belastet nicht Superreiche und große Vermögen. Sie belastet vor allem dieMieter:Innen. Sie wirkt wie eine zusätzliche Einwohnersteuer mit besonderer Belastung von Familien mit Kindern, für Fachkräfte in der Pflege bis hin zu Rentner:innen und Renter. Diese Steuererhöhung ist familienfeindlich und unsozial, denn sie treibt die Mietkosten weiter hoch, sie wird 1:1 mit den Betriebskosten an die Mieter weitergereicht.

Die Grundsteuererhöhung belastet in besonderer Weise auch die Gewerbetreibenden in der Innenstadt.
Es ist ein starkes Stück, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Einzelhandel und die Tübinger Gastronomie am Boden liegen und auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind, und die Stadt zieht ihnen das bisschen Zuschuss auf dem Höhepunkt der Coronakrise wieder aus der Tasche.

Wir haben deshalb im Haushalt beantragt, dass – der Tübinger Gemeinderat – eine Resolution an die Bundesregierung schickt mit dem Ziel, die Grundsteuer aus dem § 2 der Betriebskosten- Verordnung zu streichen, so dass eine Weitergabe an die Mieter:innenhaushalte nicht mehr möglich wird. (Anmerkung: die Abstimmung der Resolution wurde vertagt.)

Die sowieso anstehende Grundsteuerreform ab 1. Januar 22 wird zu einem starken Anstieg der Grundsteuer führen – was die Forderung also umso dringlicher macht, dass die Grundsteuer nicht auf Mieter:innen umgelegt werden darf.

Deshalb unterstützen wir den interfraktionellen Antrag von FDP, CDU und Tübinger Liste – keine Erhöhung der Grundsteuer!

Wir beantragen, dass möglichst noch im ersten Halbjahr die Auswirkungen der Baden-Württembergischen Variante der Grundsteuerreform und ihre Folgen für Tübingen im Gemeinderat auch mit Fachleuten und Verbänden diskutiert wird. Jede Fraktion hat dazu aktuelle Fachinformationen von uns erhalten. Es kann Ihnen – werte Kolleginnen und Kollegen – nicht egal sein, welche Auswirkungen unsere Beschlüsse haben und welche negativen Auswirkungen das hat was wir hier beschließen?

Eine fünfzigprozent Stelle im Bereich Gleichstellung wird kommen, das unterstützen wir im Aktionsplan Gleichstellung von Frauen und Männern auf Grundlage der Istanbul Konvention. Das ist dringend notwendig.
Allerdings verstehen wir nicht, dass bei unseren Beschäftigten im Reinigungsbereich, wo nach wie vor die Hälfte nicht nach dem Öffentlichen Dienst Tarif bezahlt wird. Da arbeiten überwiegend Frauen.
Warum solidarisiert sich da niemand von den anderen Fraktionen? Frauenpolitik und Gleichstellung fängt bei uns Linken nicht erst ab Dezernentinnen, Bürgermeisterinnen bzw. Vorstandsebenen statt.

Die Tarifflucht bei den Reinigungsdiensten im Tübinger Rathaus ist weiblich, sie muss endlich beendet werden!

Auf Antrag der SPD sollen im Bereich Eigenreinigung und Fremdreinigung 100 000 Euro gestrichen bzw. eingespart werden mit der Begründung: Lockdown und die Putzintervalle könnten verlängert werden.
Da interessiert uns erstens: ob das mit dem Infektionsschutzgesetz bei Schulen und Kitas zusammenpasst? Kann der Gemeinderat so einfach diese Vorgaben streichen?
Und zweitens interessiert uns, ob dadurch Verträge bzw. Stundenkontingente der Beschäftigten gekappt werden?
Diesem Punkt wurde sofort bei den Verhandlungen zugestimmt.
Das erstaunt uns.

In diesem Haushalt wurde auch auf unsere Initiative die unbefristete Absicherung der Personalstelle für das LUDOMOBIL gesichert, bei der wir uns in allen Fraktionen einig waren.

Für das Lernprojekt Berghof sind aus den dringend erforderlichen 45.000 € – jetzt 35 000 € geworden für das landwirtschaftliche und ökologische Projekt für Jugendliche, das gerade auch aufgrund der Pandemie so wichtig ist. Wir konnten mehrheitlich nicht mehr erreichen und dass wegen 10.000 €.
Wir bedauern dies sehr.
Danke an den Jugendgemeinderat der sich dafür sehr eingebracht hat.

Für den Kulturverein PACT die „Kultur für ALLE in Stadtteilen und Flüchtlingsunterkünften“ weiterhin anbieten wollen war mehrheitlich nicht mehr als 12 000 € drin. Mit diesem Haushalt wird auf dem Rücken der Schwächsten gespart – bei denen, die aufsuchende Kultur für alle weiterhin anbieten wollen, und dazu ein notwendiges Netzwerk geschaffen haben. Im Sommer wurde applaudiert und jetzt die dringend notwendigen Zuschüsse zu verweigern, das ist verlogen!

Wir freuen uns, dass unsere Forderung zum städtischen Beitritt zum Netzwerk „gesunde Städte“ – Gesundheit als Querschnittsaufgabe in der Kommune – zugestimmt wurde. Es gibt seit Jahren verschiedene Akteure in diesem Bereich z.B. die Unabhängige Patientenberatung. Vielleicht klappt schon eine Beteiligung bei der WHO Planung.

Und wir finden es sehr wichtig, dass die Sanierung des jüdischen Friedhofs in Wankheim nach Jahren jetzt eine Summe von 10 000 € fest hat. Bisher glaube ich dem Hinweis der Verwaltung bei den Haushaltsverhandlungen, dass die Planungen schon im Gange sind mit Reutlingen, Kusterdingen und Tübingen. Danke an die SPD und CDU die die Gelder eingestellt hatten und alle Fraktionen unterstützen.

Wir bedauern, dass die Stelle eines Mietwucherverhinderungscoach im Bereich der Wohnungsbeauftragen Frau Hartmann und Herrn Burkhardt nicht umgesetzt wird und in Tübingen die Mieten ungebremst nach oben gehen und die Stadt tut nichts! Wir bleiben da dran. Zweckentfremdung und Leerstand muss ebenfalls beendet werden.

Unsere Forderungen im Bildungsbereich z.B. die Schulsozialarbeit aufzustocken, die Gleichbehandlung beim Schulbudget der allgemeinbildenden Gymnasien (Gesamtschulen) u. der gymnasialen Oberstufe umzusetzen haben leider keine Mehrheiten bekommen.

Die verbesserte Mobilität ist mit 200 000 € im Haushalt eingestellt mit dem 365 € Jahresticket – ich meine, dass wir diese Forderung jetzt das zweite Mal beschließen – wir hoffen dass es diesmal umgesetzt wird. Für die Schüler:innen soll der Preis weiter abgesenkt werden, auf die Höhe des Semestertickets 18 Euro. Das wäre ein richtiger Schritt. Wir sagen: zukünftig muss der TüBus für Schüler:innen kostenfrei sein! In Baden-Württemberg gilt die Lernmittelfreiheit.

Meine bisherige Erfahrung ist: jedes Jahr zum 1. Juli stimmen die Fraktionen im Aufsichtsrat der Stadtwerke hinter verschlossenen Türen mehrheitlich für eine Preiserhöhung. Ich geb‘ die Hoffnung nicht auf, dass es jetzt Veränderungen im Abstimmungsverhalten gibt.

Nicht lange aufgehalten haben sich die Verhandlungen auch an unserer Forderung für das Runterfahren der Kitagebühren bei Eltern mit einem Jahreseinkommen bis 30.000 € und wir wollten 3 weitere Auszubildende im Kitabereich um die Anzahl der Ausbildungsplätze wie 2019 zu erhalten.

Für weitere Sicherheitsmaßnahmen in Kitas und Schulen wollen wir, dass wenigstens geprüft wird ob nicht doch Luftreinigungsfilter, die virenhaltige Aerosole aus der Luft filtern können, als weitere stabilisierende Maßnahme, um den Unterricht zu ermöglichen, eingesetzt werden könnten. Da haben wir in den Verhandlungen nichts erreicht. Inzwischen gibt es Studien, die das nachweisen und die Investitionen dazu auf Bund- und Landesebenen einfordern. Hände klatschen und dicke Pullis anziehen reichen nicht aus und der nächste Herbst / Winter kommt. Deshalb werden wir weiter dafür streiten.

Das Schulessen ist eine kommunale Aufgabe. Auch hier werden wir weiter dran bleiben wie auch unter Pandemiebedingungen das Bildungs-u. Teilhabegesetz und der Rechtsanspruch einer kostenfreien warmen Mahlzeit an die Schüler:innen und Kinder an den Tübinger Schulen und Kitas weitergegeben wird. Ebenso setzt sich die Linke Fraktion langfristig für ein kostenfreies Schulessen ein. Anstatt Caterer –bleibt unser Ziel einen Eigenbetrieb Schulküche zu schaffen evtl. mit angegliederter Landwirtschaft. Wir sehen die Vergabe an Caterer kritisch – problematische Qualität, oft werden keine Tariflöhne bezahlt und es gibt schlechte Arbeitsbedingungen ohne ausreichenden Gesundheitsschutz. Wir wollen sichere Arbeitsplätze auch für Menschen mit Handicap unter dem Tarifvertrag Öffentlicher Dienst auf dem 1. Arbeitsmarkt, entsprechend dem Bundesteilhabegesetz.

Dieser Haushalt ist eine vertane Chance einen sozial ausgeglichenen Haushalt zu beschließen. Wir hätten uns gewünscht, dass der gesamte Gemeinderat den Mut gehabt hätte gerade in Pandemiezeiten auf die städtische Eigenkapitalquote von 536 Millionen zurückzugreifen damit das sozial- ökologische Miteinander unserer Stadtgesellschaft zu sichern.
Wir Linke möchten solidarisch aus der Krise!

Danke für die Aufmerksamkeit.