Nachrichten aus dem Kreisverband

Bericht vom 1. Mai 2023

Kreisvorstand

Die Stimmung war kämpferisch, die gute Laune trotzte dem Wetter. An der Demonstration zum 1. Mai vom Europaplatz zum Markplatz beteiligten sich mehr Menschen als in den Vorjahren. Neben der Inflation mit steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie haben wohl auch die aktuellen Tarifauseinandersetzungen viele zur Teilnahme motiviert. Bei der ebenfalls gut besuchten Kundgebung im Anschluss auf dem Marktplatz zählte das Schwäbische Tagblatt 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es waren wohl eher mehr, darunter auch viele Jüngere Leute. Nach den Redebeiträgen machten DieVagari Musik. Als „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ angestimmt wurde, sprang der griechische Gitarrist Nikos ein, um den Gesang zu begleiten. 
Der IG Metall Sekretär Ralf Jaster erinnerte an den Tübinger Stadt- und Kreisrat Gerhard Bialas, der am 12. Juli vergangenen Jahres starb. Über Jahrzehnte hatte er mit seiner Frau Christa, die ihm im November 2021 vorausgegangen war, am 1. Mai rote Nelken verkauft. Die gab es dennoch am DKP-Stand.
Jaster moderierte die Kundgebung, die auch in die Gebärdensprache übersetzt wurde. Vor dem als Bühne dienenden Lastwagen standen bunte Mülltonnen. Der Tübinger DGB hatte sie vor zehn Jahren angeschafft, als es darum ging, die Privatisierung der Tübinger Müllabfuhr abzuwehren. Jetzt macht die Stadtverwaltung einen neuen Anlauf.  Sie will die Müllabfuhr an den Kreis zurückgeben, der eine Privatfirma beauftragen müsste. Als Begründung müssen ein schlecht instandgehaltener Fuhrpark und naturgemäß alternde Mitarbeiter herhalten. Die Müllabfuhr müsse in städtischer Hand bleiben, forderte Ralf Jaster unter Applaus.
Hauptrednerin war die stellvertretende Verdi-Landesvorsitzende Hanna Binder. Sie ging hart mit dem Tübinger OB Boris Palmer ins Gericht, der in den Tagen zuvor wegen rassistischer Ausfälle bei einer umstrittenen Migrationskonferenz in Frankfurt in die Schlagzeilen geraten war. Sie kritisierte, dass sich Palmer immer wieder als Opfer darstelle, obwohl er seine oft herabsetzenden und beleidigenden Worte bewusst wähle. Binder erinnerte an Palmers „besondere Verantwortung als Organ der Stadt“ und als Dienstherr einer vierstelligen Zahl Beschäftigter. Statt dieser Verantwortung gerecht zu werden, sorge er für ein spalterisches Klima und ziehe neben den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt auch das städtische Personal in Mitleidenschaft.
Die Uni-Personalratsvorsitzende und Kreisrätin der Linken Maggie Paal, Mitglied der Verdi-Tarifkommission, berichtete wie schon am Vorabend bei der traditionellen Mai-Kundgebung in Hagelloch vom Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst. Maria Tiede, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Kitas, und die Erzieherin und Personalrätin Meret Schüschke kritisierten die untragbare Situation an den Tübinger Kitas. Aus Personalmangel ist ab September nur noch eine städtische Kindertagesstätte bis 17.30 Uhr geöffnet, was viele Eltern vor kaum lösbare Organisationsprobleme stellt.
Florian Späth von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) informierte über die Tarifverhandlungen für die Bahn-Beschäftigten. Sie fordern 12 Prozent mehr, aber mindestens 650 Euro. Man streike nicht leichtfertig, betonte er angesichts der Unannehmlichkeiten, die es vielen bereitet, wenn Bus- und Bahnverbindungen ausfallen. Philip Muhr von der DGB-Hochschulgruppe stellte die Initiative studentischer wissenschaftlicher Hilfskräfte für einen „TV-Stud“ vor, einen Tarifvertrag über ihre Tätigkeit. 
Moderator Jaster erinnerte auch an den Sturm der Nazis auf die Gewerkschaftshäuser vor 90 Jahren am 2. Mai 1933. Auch heute gelte es, rechter Hetze in Betrieben und auf der Straße entgegenzutreten. Er zeigte sich empört darüber, dass der Tübinger OB den im Alten Botanischen Garten getöteten Basiru Jallow schon wenige Stunden nach der Tat mit Drogenhandel in Verbindung brachte – eine „rassistische Zuschreibung“. Volkan Yildirim vom Alevitischen Verein erinnerte an die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien. Die Menschen bräuchten weiter Hilfe und Spenden.
Unter den zahlreichen Infotischen rund um den Markplatz fand auch der Stand der Linken große Beachtung. Unter anderem wurde über die Gegenwehr gegen den Versuch informiert, die Clara-Zetkin-Straße in Lustnau mit einem Knoten zu versehen. Für die meisten ist der Vorstoß der vom Gemeinderat beauftragten Historikerkommission zur Überprüfung Tübinger Straßennamen nicht nachvollziehbar.